Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben..In immer neuen Abwandlungen begleitet seiend von der Geburt bis zum Tode..Die Geschichte der Menschheit lässt immer neue Versuche erkennen, Angst zu bewältigen, zu vermindern, zu überwinden oder zu mindern..Es bleibt wohl eine unsere Illusionen zu glauben, ein Leben ohne Angst leben zu können – Sie gehört zu unserer Existenz und ist eine Spiegelung unserer Abhängigkeiten und des Wissens um unsere Sterblichkeit…
Und da komme ich ins Spiel…
Ich bin in den letzten Jahren mindestens tausendmal gestorben..Um mich aber ständig davon zu überzeugen das dem nicht so ist, messe ich meinen Puls..Immer und ständig..Eins, zwei, drei, dreieinhalb – Extrasystole – vier, fünf…Irgendwie schlägt der heute ganz schön ordentlich..Ich lasse das lieber..Das macht mich am Ende nur besorgt..Wir wissen also: Ich lebe..Wider jeglicher Erwartung..Zumindest dann, wenn man von meiner Erwartung ausgeht..In meiner Erwartung hatte ich schon alles möglichst Tödliche.. Herkömmliche Lebensbeender wie Herzinfarkte, Schlaganfälle, Aneyrysmen, Hepatitis A bis Z, Krebs, vom Scheitel bis zur Sohle, Hirnhautentzündungen, spontane Epilepsie.. Ich bin schon überall heruntergefallen, mit allem abgestürzt, vor jede Mauer gekracht..Nun, ich habe mir auch schon Absurdes und Obskures gefangen..Denguefieber, weil der Freund einer Bekannten das aus dem Urlaub mitgebracht hatte..Superseltene Erbkrankheiten, für die es an meinem Stammbaum nicht einen einzigen, noch so winzigen Ast elften Grades gab, der Anlass zur Sorge gegeben hätte..Aber vielleicht war das einfach nicht entdeckt worden?! Die meisten meiner Vorfahren sind ja schon vor zig Jahren gestorben..Gestorben sind sie! Ja, warum eigentlich? Onkel Heinz (1870-1950) litt an Abetalipoproteinanämie, starb beim Fenstersturz..Es hätte mich auf merkwürdige Weise beruhigt..Warum? Weil ich gerne das Leben berechnen würde, aus Liebe zu ihm getrost all die Eventualitäten und alles Ungeklärte streichen würde..Weil ein Dasein in einer Blase keine Option, der Wunsch danach aber durchaus vorhanden ist..Denn ich hasse Überraschungen und Kontrollverlust..Ich will hier nicht weg..Weg ist irgendwie das Gegenteil von Leben..Ich liebe es, jawohl! Mit all seinen Unbewegsamkeiten, mit den ganzen Untiefen, mit seiner Unberechenbarkeit..
Du stehst am Konservenregal und überlegst, was wohl der Unterschied zwischen Marken-Mais und Discount-Mais sein soll, weil beides Genmais enthält und du nicht mal weißt, was Genmais ist, und von links hinten, aus der Bio Abteilung, schleicht sich etwas an..Die Panik stinkt wie ein nasser Hund..Keiner von der Sorte, die sich mal kurz schüttelt..Ein verzogenes, bissiges Vieh, bei dem die erste Ahnung genügt um zu wissen, das es gleich zum Sprung ansetzt und dich umwirft..Du stellst den Mais zurück..Du suchst nach Deckung oder Flucht..Aber verloren..
Es kribbelt und krabbelt in dir hoch..Wie Ameisen kribbelt und krabbelt es, und du denkst an den Tod..Ohne Umwege. So, als würde der einfach passieren..Aber nein, Moment.. Das ist völliger Quatsch..Du hast das hier schon so oft durchexerziert..Der Tod kam immer auf schnellen Sohlen..Das hier wird dauern..Dein Puls schlägt dich zu Brei, das spürst du jetzt.. Seit wann kannst du eigentlich deinen Puls hören? War das schon immer so? Und wenn ja, seit wann ist er so laut? Die Hand an der Brust, tastest du linksseitig des Sternums. Grundgütiger, wie das schlägt! Ist das regelmäßig? Da war doch gerade diese Pause..Dieser Knallkörper aus Stille..Das hier ist alles nicht mehr regelmäßig..Wo ist eigentlich der verdammte Einkaufswagen? Wenn du dich ein bisschen beeilst, dann schaffst du es vielleicht noch durch den Kassenbereich..Halte dich dort einfach an diversen metallenen Absperrungen fest und tu so, als sei nichts..Aber wie soll das gehen? Das muss man doch sehen..Und wenn dich nicht alles täuscht, dann starrt dich die Frau dort hinten an der Käsetheke schon merkwürdig an..Das beschämt Dich. Jetzt bloß keine Fragen, bitte..Wo ist dieser Einkaufswagen? Du wolltest doch nur schnell Mais besorgen und hast ihn irgendwo beim Toilettenpapier abgestellt..Wo ist das verdammte Klopapier in diesem Laden? Irgendwo beim Dosenfutter war das..Jetzt sind sie versteckt am Ende eines beschissenen Tunnels.. Die Frau guckt..Ganz sicher! Und Du guckst auch..Und zwar zum Boden, damit sich eure Augen nicht treffen..Und irgendwo da unten, am Ende einer viel zu langen Spanne, flirrt ein Bild von Deinen Füßen..Hast Du schon immer so schlecht gesehen? Deine Beine wackeln..Es kribbelt weiter..Dein Herz ist faustgroß, das hast du gelernt..Dein Herz schrumpft und krampft. Die Hand vor der Brust, als schwartest du einen Eid, stolperst du durch den Laden. Deine Atmung beschleunigt sich. Du hyperventiliert, und der Schwindel wird zum Gang über die Planke..Wenn du atmest, denn zwischendurch vergisst Du das vor lauter Aufregung..Wo ist dieser Wagen? Brauchst du all das eigentlich? Musst Du gerade jetzt einkaufen? Ja, das musst Du..Du hast nichts mehr zu Hause und musst was essen und dann – sterben..
Moment, nein. Du stirbst.. Du musst all das nicht kaufen. Aber wenn Du dann doch Glück hast und dies hier überlebst, hast Du wenigstens was zu essen..Dein Körper verbrennt gerade alles, was er finden kann.. Dein Kopf.. Dieser Druck.. Du kannst Dir vorstellen, wie sich das anfühlt..Wie ein zertretenes Schneckenhaus..Dein Kopf platzt wie ein Ballon in der Mittagshitze..Angina Pectoris, Schlaganfall..Das wird die Reihenfolge sein..Zerstörungsschmerz..Überhaupt schmerzt Dein linker Arm schon den ganzen Tag..Klar, du hast schon 3x Deinen Blutdruck gemessen heute, aber immer zur falschen Zeit..
Diesen Einkauf wirst Du nicht beenden..Du walzt, den Blick immer gen Boden, auf die rettende Tür zu und quetscht Deinen schweißnassen Körper an den anderen Kunden vorbei..Du brabbelst unverständliche Sätze vor Dich hin..Und zwischendrin, der einzig verständliche: „Oh Scheiße! Oh Scheiße! Oh Gott, Scheiße!“…
Ich kann meinen Körper nicht mit dem Zutrauen betrachten, denn ich halte es für keineswegs selbstverständlich, das er funktioniert..Ich habe gelernt darauf zu achten, was mir mein Körper sagt..Denn ich höre ihm mehr oder weniger ununterbrochen zu..Es ist keineswegs so, das ich alles gutheiße, was in mir geschieht..Nicht gedanklich.. Und körperlich erst recht nicht.. Beide, Körper und Geist, machen im Grunde was sie wollen..Und meistens ganz entgegengesetzte Dinge..Natürlich versuche ich immer wieder, zu ihnen vorzudringen, ihnen dieses oder jenes vorzuschlagen..Aber entweder sie hören mir nicht richtig zu, oder sie machen bewusst das Gegenteil von dem, was ich sage..Wir sind uns immer ein bisschen fremd geblieben..Das heißt nicht, das ich keinen Einfluss auf mich hätte..Nur würde ich es nicht als guten Einfluss bezeichnen..Ich kann zum Beispiel jederzeit das gesamte System durcheinander bringen..Vegetativ, organisch und seelisch..An guten Tagen schaffe ich den kompletten Absturz..Mit der Selbstberuhigung habe ich Schwierigkeiten, aber wenn es darum geht, den Blutdruck nach oben zu treiben, einen Schmerz oder zumindest eine Vorahnung in eine bestimmte Gegend zu projizieren, bin ich absolut unübertroffen.. Als würde man mir einen Laserpointer in die Hand legen und sagen: Wo könnten wir denn heute mal was Unruhe stiften? Vielleicht wirke ich eher unaufgeregt, wer mich erlebt könnte auf den Gedanken kommen, ich sei ein Mensch, der in sich ruht..Dabei geht das meiste, was ich tue oder denke, deutlich in die entgegengesetzte Richtung..Ich bin gewissermaßen im Kriegszustand mit mir selbst..Ich operiere dabei sowohl zu Luft (vegetatives Nervensystem) als auch mit Bodentruppen (Ausschüttung von Stresshormonen)..Da der Befehlsstand häufig unterschiedlich besetzt ist, (wer grad will oder sowieso da ist), fehlt allerdings ein bisschen die Linie. Strategisch gibt es starke Defizite, die meisten Aktionen verlaufen meistens völlig umkoordiniert..Auffallend: Selbst in Friedenszeiten herrscht ständige Alarmbereitschaft, was natürlich eine gewisse Energieverschwendung bedeutet.. Wer das Geschehen von aussen betrachtet, könnte den Eindruck gewinnen, er habe es mit einer Verrückten zu tun..Dem kann ich, offen gesagt, wenig entgegensetzen..Höchstens, dass ich um meinen Zustand weiß..Aber das ändert nichts am Ergebnis..Natürlich könnte man fragen, was es damit auf sich hat, wenn man sich wider besseres Wissen dennoch falsch verhält..Oder zumindest fraglich..Woran liegt es, dass Menschen wie ich ihren Fokus auf Dinge lenken die von anderen gar nicht wahrgenommen werden? Oder nur vorübergehend und niemals mit Konsequenzen, die sich irgendwo zwischen Handlungsunfähigkeit und völliger Überaktion bewegen..Meist liegt dem ein sehr einfacher Gedanke zugrunde: Die Angst, etwas zu bekommen, was man nicht hat..Oder zu verlieren, wovon man immer noch hofft, ausreichend darüber zu verfügen.. – Gesundheit..
Mehrfach habe ich bereits versucht, mich im positiven Denken zu üben..Ich gebe zu, es ist mir ziemlich fremd..Niemals würde ich ein halbleeres Glas als halbvoll betrachten..Niemals eine Erkältung als „bloß eine Erkältung“, die man vom Rest meines Wesens einfach abheben könnte wie ein wenig zu viel Sahne vom Pflaumenkuchen..Wenn in meinem Körper etwas weh tut, und sei es auch nur für eine Sekunde, ist es eben kein unbedeutender Schmerz, sondern einer, der mit etwas zu sagen hat..Und ich lasse ihn gerne ausreden..Nach dem Prinzip des positiven Denkens wird nur derjenige krank, der sich schlechte Gedanken macht..Diese führen, psychologisch betrachtet, zu selbsterfüllenden Prophezeiungen, die einem so ansatzlos ins Gesicht schlagen, wie eine Monsterwelle auf der Strandpromenade..Die schlechten Erfahrungen bestärken einen dann im eigenen Pessimismus, und so geht es immer weiter. Krankheit, Pessimismus, Krankheit…bis man eines Tages in Wolldecken gehüllt an seinem Kamillentee nippt und bei der Internetsuche nach neuen Krankheiten eher zufällig auf „Merkels Optimismus-Training“ stößt..Die Angst vor Krankheit und Tod, insbesondere vor tödlicher Krankheit, ist natürlich auch immer eine Ausrede..Für Menschen, die man nicht anspricht, oder auch die Karriere, die in der eigenen Vorstellung natürlich viel gerechter Strahlen müsste, als sie es tatsächlich tut. Vor Jahren hatte mir einmal ein Couch geraten, zumindest gelegentlich mal meine sogenannte Komfortzone zu verlasse..Ich will nichts schlechtes über den Mann sagen, aber im Grunde hat er das Wesen meines Leidens nicht verstanden..Der Paniker ist stets der Überzeugung, dass es ihm gelänge, würde ihn sein aktuelles Leiden nicht daran hintern..Da er schwer in sich trägt, ist der Paniker sich selbst mehr als genug..Er duldet andere nur wohldosiert und niemals, wenn sie, sagen wir mal, ansteckend sind..Aber natürlich braucht er dennoch eine verständnisvolle Seele an seiner Seite, die sich möglichst ganztägig seinen Befindlichkeiten (und seiner umfassenden Empfindsamkeit) widmet oder ihm zumindest hin und wieder versucht klarzumachen, dass sein Leiden, global betrachtet, vielleicht gar nicht so groß ist, wie es ihm scheinen mag..Das ist die vornehmste Aufgabe des Partners..Jedenfalls möchte man ihm die Aufgabe zuweisen.. Selbstverständlich verweigert er sich in der Regel, weil er nicht der unberechtigten Ansicht ist, dass er erstens kein Therapeut ist, und zweitens vielleicht noch was zu erledigen hat..(Was an meiner Seite nicht immer so ganz einfach ist).. Mein Freund teilt das Schicksal von Millionen anderer Leidensgenossen in diesem Land..Sie haben alle, als sie etwas leichtfertig ihre Beziehung eingingen, nicht das volle Ausmaß dessen erkannt, was sich in kleineren Bemerkungen meinerseits ankündigte. Er wusste nicht, was es heißt, mit einem Menschen zusammen zu sein, der im überwiegenden Teil seiner Handlungen einer alles verdrängenden Angst folgt, die sich aus tatsächlichen und vermeintlichen Angriffen auf die Gesundheit speist..In der Hochphase der Verliebtheit waren sie bereit gewesen zu überhören, das man nicht gerade in der Lage wäre, diesen oder jenen zu treffen.. Am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben oder seine Familie kennenzulernen und wegen eines leichten Ziehens im Magen natürlich auch unter gar keinen Umständen kennenlernen möchte.. Ich habe das große Glück, ein wenig neurotischen Freund zu haben, der überwiegend freudvoll an seine Tagesaufgaben geht..Und der geradezu unvorstellbaren Meinung ist, man könne die meisten Herausforderungen des Lebens willentlich lösen..
Wir leben nun seit drei Jahren zusammen..Genauer gesagt, wir üben immer noch..Seine Angst hat sich noch nicht gelegt, ein paar neue Ängste sind wohl noch dazu gekommen (insbesondere die Angst vor meinen Ängsten)..Aber das ist natürlich auch kein Wunder..Denn vielleicht ist es das bisher größte Experiment in unserem bisherigen Leben..Er hat, genauso wenig wie ich, nicht besonders viel Erfahrung was das Zusammenleben mit dem anderen Geschlecht betrifft.. Die Ergebnisse waren nicht sonderlich ermutigend gewesen..
Normalerweise, so kannte ich es, ist man ja zunächst wahnsinnig verliebt, irgendwann vielleicht etwas ernüchtert, und unter Umständen beginnt dann die Phase, in der es unangenehm werden kann..Bei uns war es gewissermaßen umgekehrt..Es war, als wäre er in einem kraftzehrenden inneren Kampf mit sich selbst..